Die Vogelfauna von Saarbrücken um 1870

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

    Aus dem Nachlass von Julius Kiefer

     

    Eine eigene erste Darstellung der Avifauna von Saarbrücken liegt erst aus der Zeit um 1870 vor. Wir verdanken diese dem Ehrenbürgermeister Julius Kiefer von Saarbrücken, der ein Sohn unserer Heimat war und der von 1871 bis 1884 dem Gemeindewesen von Saarbrücken vorstand. Die Würdigung dieses edlen und begeisterten Naturfreundes und sehr verläßlichen Naturkenners, sowie eine Darstellung seiner vogelkundlichen Beobachtungen und Veröffentlichungen bedingte eine eigene umfassende Abhandlung.

    Hier seien nur die ersten Aufzeichnungen Kiefers über die Vogelwelt der Stadtumgebung von Saarbrücken gegeben, die in dem Kieferschen Schriftennachlaß vorgefunden und dem „Saarfreund“ von Fräulein Emma Kiefer, Saarbrücken, einer Tochter des Verstorbenen, überlassen wurden. Die Darstellung stammt aus dem Jahre 1872.

    „Es dürfte nicht leicht eine Landschaft geben, welche ihrer Gestaltung und Bepflanzung nach geeigneter erschiene, eine reiche Vogelwelt zu beherbergen, als unsere Saarbrücker Gegend in einem gewissen Umkreis. Zieht man diesen Umkreis von unseren durch den Saarfluß getrennten Schwesternstädten Saarbrücken und St. Johann ab etwa eine Viertelmeile beiderseits des Flusses bis zu einer Entfernung von ungefähr drei Viertelmeilen auf- und abwärts, so stellt der umschriebene Grund eine Landschaft dar, die nicht nur von ihren Bewohnern als schön befunden wird, sondern die auch schon so manchen Fremden bei ihrem ersten Anblick und noch mehr bei näherer Kenntnis der Einzelheiten höchlich wegen ihrer Lieblichkeit gepriesen worden ist. Fanden doch auch die Franzosen als sie in den wenigen ersten Tagen des August 1870 die Höhen besetzt hatten, die Gegend höchst „charmant“. Die Schönheit unserer Landschaft besteht in dem, was sie zu einer Vogelherberge in hohem Grade geeignet machte, wenn nicht hingegenwirkende Ursachen vorhanden wären.

    Man denke sich längs des Flusses beiderseits auf und abwärts eine Wiesenfläche von wechselnder Breite, auf dem rechten Ufer an sie anschließend reich bebautes Ackerland in sanft ansteigender Fläche, diese allenthalben von bis zu 350 Fuß vom Flußspiegel sich erhebenden Hügeln begrenzt, welche von mehreren Quertälern durchsetzt, fast zusammenhängend vorwiegend mit Laubholz bewaldet sind. Unter diesen Hügeln ist für unsere Besprechung ein aus der Fläche selbstständig aufsteigender Kegel, „Kaninchenberg“ genannt, besonders zu erwähnen, weil er, mit mehreren Wasserquellen am Fuße versehen, mit Niederwald, Gebüsch und Gestrüpp bedeckt, durch Verbot und Umzäunung geschützt, einen wahren Vogelpark dar-stellt.

    Auf dem linken Ufer des Flusses schließt sich an die ganze Länge der Wiesenfläche, wie auch an die Stadt, unmittelbar eine ebenfalls von mehreren Quertälern durchschnittene Kette von schön geformten Hügeln an, die ziemlich gleichmäßig bis etwa 150 Fuß, jedoch an einer Stelle bis etwa 350 Fuß in dem „Winterberg“, sich steil erheben. Dieser Winterberg, von welchem man die schönste Rundsicht über die Gegend genießt, ist mit einem Gemisch der verschiedenen Holzarten seit etwa drei Jahrzehnten allmählich neu beforstet und bildet, gleich wie der erwähnte Kaninchenberg, einen Niederwald mit Hochstämmen, Gebüsch und Gestrüpp durchsetzt, von mindestens 150 Morgen.

    Die übrigen Hügel sind, wie ein großer Teil der Ebene auf- und abwärts der Stadt, fast zusammenhängend auf einer Gesamtfläche von etwa 300 Morgen mit kleineren oder größeren Gärten bedeckt, die meistens durch lebende Zäune getrennt und reich mit Obst- und Zierbäu-men und Gebüschen bestanden, die Stadt vollständig im Grünen gebettet erscheinen lassen. Nach der dem Flusse abgewendeten Seite fallen sie in sanfter Neigung als Ackerland ab bis zum Fuße der wieder steil ansteigenden Bergkette, an deren einem vorspringenden Winkel der heißeste Kampf der Spicherer Schlacht tobte. Hebe ich noch hervor, daß mehrere der auf das Haupttal des Flusses mündenden Seitentäler Teiche enthalten, darunter einer von etwa 25 Morgen Größe, ungemein lieblich zwischen waldigen Hügeln gelegen, so wird man meine eingangs gemachte Bemerkung, daß unsere Gegend eine Vogelherberge darstelle, wohl gerechtfertigt finden.

    Leider birgt diese Herberge nicht mehr so viele Bewohner, wie es der Vogelfreund wünscht und es früher der Fall war. Die Vermehrung der Bevölkerung beider Städte von etwa 6000 auf 20.000 im Zeitraum von 40 Jahren, die Durchziehung des Tales mit Eisenbahnen, die Schiffbarmachung des Flusses für die Fahrt von Tausenden Schiffen alljährlich, hat einen so lebhaften Verkehr hervorgerufen, daß durch denselben, wie das ja auch anderwärts unter ähnlichen Verhältnissen beobachtet worden ist, die Zahl unserer befiederten Lieblinge sich augen-fällig verminderte, an Arten und an Zahl.

    Das Ausheben von Nestern durch Unverständige, welche die Jungen nicht aufzufüttern ver-stehen, wirkt auch nachteilig; wenn wir hier auch über mutwilliges Zerstören wenig zu klagen haben; ferner aber tun die Hauskatzen aus den den Gärten zunächst gelegenen  Häusern hinausstreifend, empfindlichen Schaden an den jungen Bruten, ein Umstand, dem nur schwer entgegenzuwirken ist, da die Gartenbesitzer ja nicht fortwährend mit dem Schießgewehr auf der Lauer stehen können und die Katze selbst wohl auch hauptsächlich in der Nacht ihre Jagd ausübt.

    Immerhin ist unsere Vogelwelt, trotz aller Störungen, je nach den Örtlichkeiten in manchen Orten noch eine reichliche zu nennen, und der Vogelfreund hat vielfach Gelegenheit sich an ihr im Freien zu ergötzen in nicht weiter Entfernung von der Stadt.

    In wenigen Minuten finden wir uns „der Straße drückender Enge“ entronnen im Aufstiege nach unseren Gartenhügeln, auf denen wir uns stundenlang ergehen können, ohne einen Weg zweimal machen zu müssen. Lauschen wir auf diesen Wegen im Lenzmonate den Jubelliedern unserer kleinen Sänger im Grünen, so unterscheiden wir aus den Tausenden von Stim-men zunächst, einem jeden Ohr bekannt, unsere deutsche Nachtigall in hervorstechender Weise, denn dieser gepriesenste der Sänger ist hier in einer Häufigkeit zu finden, wie vielleicht nirgendwo übertroffen. Ich glaube nicht wesentlich von der Wahrheit entfernt zu sein, wenn ich die Anzahl der in den oben erwähnten 300 Morgen die Stadt umgebenen Gärten nistenden Paaren in guten Jahren auf mindestens 100 schätze, und man mag sich, da sie begreiflicher-weise ja nicht gleichmäßig verteilt sein können, eine Vorstellung machen, wie gedrängt sie in einzelnen besonders günstigen Lagen erscheinen; bis zu je ein Paar auf etwa einem Morgen, wodurch der Gesang zur Zeit des größten Eifers manchem Ohr sogar schon lästig geworden ist. Sind wir hierin nicht zu beneiden? Doch wohl!

    Nächst dieser Hauptsängerin lassen sich Buchfink, die Schwarzamsel, welche hier entschiedener Gartenvogel ist, die schwarzköpfige Grasmücke und der Stieglitz am lautesten vernehmen; in einzelnen größeren, etwas verwilderten Baumgärten, auch die Singdrossel, wie auch stellenweise die Bastardnachtigall mit ihrem allerliebsten „Gewälsche“ und der Girlitz mit seinem Geklirre sich bemerkbar machen. Dazwischen ertönt dann der große Chor der Grasmücke, Hänfling, Rotkehlchen, Kohl- und Blaumeise, der kleine Würger, Goldammer, Braunelle, Grünfink, Gartenrotschwanz, Fliegenfänger, Feldsperling, Wendehals, alles entschiedene Gartenvögel. In den Lüften erschallt aus dem Wiesental herauf und von der Ackerflur (ein Teil derselben führt seit undenklichen Zeiten den Namen „Lerchenflur“) das Gejubel der Lerchen, Feld- und Haubenlerche, und Rauch- und Mehlschwalben schwärmen umher, hie und da ihre Lust durch Gezwitscher kundgebend.

    Dehnen wir unseren Gang aus nach dem nicht fernen Winterberg, so trifft schon bald vernehmlich der Kuckucksruf an unser Ohr. Näher kommend unterscheiden wir bald den Gesang des Fitislaubsängers, des Waldlaubsängers, der Dorngrasmücke, der Goldammer in verstärkter Zahl, des Zaunkönigs, der Tannen- und Sumpfmeise. Der rotköpfige Würger läßt sich an herausragendem Punkt blicken, einzeln auch der Große Würger und der Kirschkernbeißer; Eichelhäher und Rabenkrähe stören uns mit ihrem Gekrächze, wie auch leider die Elster allenthalben.

    Wenden wir uns flußabwärts nach dem eigentlichen Walde, so flötet der Pirol aus den Wipfeln, der Buchfink läßt seinen schönen, so traulichen Lockruf hören, die große Holztaube und an geeigneten Stellen die Hohltaube rufen mit ihrem dumpfen Laut. Baumläufer, Grün- und Buntspechte, Wiedehopf, Blaumeise machen sich bemerkbar.

    An dem oben erwähnten großen Teiche, um dessen Ufer der Verkehr auf Ortwegen leider ziemlich belebt ist, gewahren wir den schönen Eisvogel, das niedliche Teichhuhn, und hören wir das Geschwätz der Schilfdrossel, des Teichrohrsängers. Über den Wiesenplan nach der Stadt zurückkehrend, fällt uns noch der Wiesenschmätzer und der Pieper auf und leider nur selten der Wachtelruf. Allenthalben im Gebiet finden sich der Star und die Bachstelze.

    In der Stadt ist der Hausrotschwanz sehr häufig, die Mehlschwalbe sehr selten, die Rauchschwalbe in reicher Zahl. Der Mauersegler ist seit 30 Jahren eingewandert; in meiner Jugend war er gänzlich unbekannt und er hat auch heute noch keinen eigentlichen Namen im Volksmund. Man nennt ihn die „große braune“ zur Unterscheidung von den anderen Schwalben. Die Uferschwalbe wechselt mit ihren Ansiedelungen die Örtlichkeit, d.h. von einem Steinbruch zu anderen, je nach Störung; am Flussufer, das durch die Schiffbarmachung faßt allent-halben im Gebiet scharf abgeböscht, entbuscht und berast worden ist, findet sie längst kein Unterkommen mehr. Aus dem gleichen Grunde sind uns vom Fluß vertrieben worden das Blaukelchen, der Flußrohrsänger, der Weidenzeisig u. a. die Wasserralle, der Flußregenpfei-fer, die kleine Rohrdommel, der Fischadler, den ich in meiner Jugendzeit noch „plumpen“ sah. Er hieß hier „Plumper“.

    Als ständig vorhanden im Gebiete, namentlich wenn wir die eingangs angegebenen Grenzen desselben etwas weiter ziehen, sind dann noch zu erwähnen: der Mäusebussard, der Tauben-habicht, der Sperber, die Gabelweihe, der Lerchenfalke, die Waldohreule, der Waldkauz, die Schleiereule (auf den Kirchtürmen der Stadt und den benachbarten Dörfern sehr zahlreich), die Nachtschwalbe, das Wasserhuhn (auf einem entfernten Teich), der Wachtelkönig, die sog. Uferlerche, das Feldhuhn. Vereinzelt kommen vor: der Kolkrabe, die Misteldrossel und Krammetsvogel, Spechtmeise, die kleine Ralle, Sumpfschnepfe, kleine Rohrdommel (an entfernten Teichen), Haselhuhn, Baumlerche.

    Dann muß ich noch eines Vogels gedenken, dessen Gesang sich seit einigen Jahren erst in dem Gartenbezirk vernehmen läßt, und der wohl als ein noch nicht lange „Eingewanderter“ zu betrachten ist. Er ist entschieden eine Ammer, ob aber die Zaunammer oder die Gartenammer, das zu beurteilen bin ich nicht imstande, weil ich noch nicht Gelegenheit hatte, das Gefieder zu untersuchen, um es mit Brehms oder Friedrichs Beschreibungen, die mir zu Gebote stehen, zu vergleichen, der Gesang mir aber auf beide zu passen scheint. Den Girlitz glaube ich in einem größeren Garten bemerkt zu haben.

    Als verschwunden aus dem Gebiet muß noch bezeichnet werden: der hübsche Turmfalke, der Wanderfalke und der Graue Reiher. Der Storch war nie in dieser Gegend, die nächste bekannte Niststätte ist etwa vier Wegstunden von hier in der Gegend von Zweibrücken. Bemerkenswert ist das gänzliche Fehlen der Saatkrähe und der Dohle.

    Ich habe im Vorhergehenden stets nur von Brutvögeln gesprochen. Wollte ich alles nennen, was sich auf dem Zug oder Strich auf kürzere oder längere Frist sichtbar macht, so würde das wohl ein besonderes, nicht kleines Verzeichnis werden müssen, das genau zu fertigen meine Beobachtungen viel zu mangelhaft sind.“

    Aus „Der Saarfreund“ (undat.)